Stadterneuerung am Wendepunkt – die Bedeutung der Bürgerinitiativen gegen den Altstadtverfall für die Wende in der DDR (Stadt-Wende)

Ziel dieses Verbundprojekts ist es, den Altstadtverfall in der DDR in seiner ursächlichen Bedeutung zu erfassen, dessen Impulse für die Entfaltung der Bürgerbewegungen als wesentlicher Teil der gesellschaftlichen Wende 1989 zu erklären und darüber hinaus die Stadtentwicklungspolitik nach der deutschen Einheit im Sinne jener Erfahrungen neu einzuordnen und zu bewerten.
Teilprojekt der TU Kaiserslautern
Das an der TU Kaiserslautern angesiedelte Teilprojekt untersucht, welche Bedeutung Stadtplanerinnen und Stadtplanern in den Bauämtern und staatlichen Planungsbüros bei der Stadterneuerung zukam. Welche Auswirkung hatte ihr Handeln und ihre Einbindung auf den verschiedenen Ebenen des Staates, unter Berücksichtigung des Spannungsfelds zwischen dem Altstadtverfall vor Ort und der offiziellen Stadtplanungspolitik und deren Planungsinstrumenten? Darüber hinaus erforscht das Teilprojekt, welchen Einfluss die Ost-West-Kontakte von Expertinnen und Experten zur Stadterneuerung ab den 1970er Jahren auf die Stadterneuerungspraxis vor und nach der Wende besaßen. So wird beispielsweise untersucht, ob es Auswirkungen auf das Denkmalschutzgesetz der DDR gab und ob sich daraus mittelfristig Folgewirkungen in Förderprogrammen nach der Wende ergaben, z.B. in dem Förderprogramm „Städtebaulicher Denkmalschutz“. Zudem übernimmt unser Fachgebiet die Gesamtkoordination des Verbundprojekts und stellt den umfangreichen, projektübergreifenden Wissenstransfer sicher.
Der Stadtverfall der DDR-Innenstädte war in den 1980er Jahren
ein nicht mehr zu leugnendes und sichtbares Zeichen für den Niedergang der
gesamten Gesellschaft. Die marode Bausubstanz, zunehmende Leerstände und
großflächige Abrisse von historischer Bebauung zugunsten einer
zentralistisch gesteuerten Neubebauung mit uniformen Plattenbauten wurde in den
betroffenen Städten teilweise sehr kontrovers diskutiert. Es regte sich
Widerstand gegen diese Art brachialer Stadtzerstörung.
Das Forschungsprojekt geht
von der These aus, dass der zunehmende Stadtverfall vielerorts ein Auslöser für
Bürgerproteste und damit auch für die friedliche Revolution im Herbst 1989
waren. Beispielhaft dafür steht die Stadt Leipzig mit ihrem sichtbaren
Leerstand und Zerfall, die sich zu einem Zentrum des Widerstands entwickelte.
Die Proteste für eine andere und behutsame Stadtentwicklung wurden von einem
breiten Spektrum an Akteuren offen oder verdeckt vorgetragen.
So gab es kritische und
opponierende Stimmen von einzelnen engagierten Bürgern oder Bürgergruppen, die
sich teilweise unter dem Dach der evangelischen Kirche versammelten und in
unterschiedlicher Form gegen die Missstände angingen. Andere Gruppen schlüpften
unter das Dach des offiziellen DDR-Kulturbundes und trugen ihre Kritik in Form
von Eingaben vor oder kümmerten sich in freiwilliger Arbeit um abrissbedrohte
Gebäude. Nur wenige dieser Aktivitäten sind bislang wissenschaftlich
ausgewertet und zumeist als lokalhistorische Studien veröffentlicht worden.
Nach unseren bisherigen Recherchen existierten in DDR-Städten mit dem Stichjahr
1989 insgesamt 72 zivilgesellschaftliche Gruppierungen gegen den Zerfall von
Altstädten.
Auch das Institut für
Denkmalpflege positionierte sich zunehmend gegen die praktizierte oder geplante
Stadtzerstörung, ohne letztlich großflächig erfolgreich sein zu können, wie es
die Dissertation von Keltsch sehr eindrücklich nachweist. Kritik am Verfall des
baulichen historischen Erbes gab es auch aus der kritischen Wissenschaft. Die
fachlich fundierte Kritik verblieb jedoch in einem reinen Fachdiskurs mit den
zuständigen Stellen der Bauakademie, dem Ministerium für Bauwesen oder den
jeweiligen Ebenen in der Parteihierarchie der SED. Und nicht zuletzt gab es in
vielen Klein- und Mittelstädten jenseits der Schwerpunktstädte des
DDR-Plattenbaus beherzte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
Bauämtern und staatlichen Planungsbüros, die sich der Erhaltung „ihrer“
Altstädte verschrieben hatten und z.B. durch die gezielte Lenkung der raren
Baukapazitäten auf die abrissbedrohte historische Bebauung dafür sorgten, dass
diese langfristig erhalten werden konnte. Die Kritik an der damaligen Stadtzerstörungspolitik
in den DDR-Städten weist deutliche Gemeinsamkeiten mit der Diskussion über die
Abkehr von der sogenannten Kahlschlagsanierung in den 1970er Jahren in der
damaligen Bundesrepublik auf. Auch das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 hatte
weitreichende programmatische und gesetzliche Auswirkungen für eine erhaltende
Erneuerungspolitik.
Im Jahr 1975 hatten fünf der
damals zwölf Bundesländer bereits Denkmalschutzgesetze erlassen, und auch die
DDR erließ im Sommer 1975 ein sogenanntes Denkmalpflegegesetz, ohne allerdings
die materiellen Voraussetzungen für eine erhaltende Denkmalpflege zu schaffen.
Die Diskussion über die Behutsamkeit der Stadterneuerung zwischen Stadterhalt
und Stadtabriss in der damaligen Bundesrepublik mündeten 1983 beispielsweise in
den 12 Grundsätzen der behutsamen Stadterneuerung in Berlin (West). Im
Zuge der Internationalen Bauausstellung in Berlin Kreuzberg 1987 konnten erste
erfolgreiche Strategien einer behutsamen und bewohnerorientierten Stadterneuerung
aufgezeigt werden. Das zeitgleich in (Ost-) Berlin gefeierte 750. Jubiläum von
Berlin wurde medial begleitet von exemplarischen Erneuerungsprojekten im
Stadtbezirk Prenzlauer Berg (behutsame Variante) und im neu gebauten,
historisierenden Plattenbau-Stil Nikolaiviertel in der historischen Altstadt
Berlins (radikale Variante).So wurde Ende der 1980er Jahre in der DDR sowohl in
zahlreichen Bürgerinitiativen, aber teilweise auch in der politischen
Programmatik bereits eine behutsame Stadterneuerung vorbereitet, wenn auch i.
d. R. die Ressourcen fehlten, um sie umzusetzen.
Die unmittelbar nach der
Wende einsetzende behutsame Erneuerung der ostdeutschen Innenstädte gilt als
einer der größten gesamtdeutschen Erfolgsgeschichten und wird seither in vielen
Veröffentlichungen beschrieben. Bereits um die Jahreswende 1989/1990 fand ein
intensiver Austausch von Fachkollegen und Ministerien statt, um die historische
Bausubstanz zu retten. Grundlage der Erneuerungswelle in fast allen ostdeutschen
Städten waren passgenaue Städtebauförderprogramme mit einem erheblichen
Mitteleinsatz für die behutsame Stadterneuerung sowie das rechtliche
Instrumentarium des seit Sommer 1990 auf dem Gebiet der DDR eingeführten
Bauplanungs- und Zulassungsverordnung (BauZVO) und des Baugesetzbuches (BauGB)
nach der Deutschen Einheit. Es entstanden neue Förderprogramme wie
„Städtebaulicher Denkmalschutz“ mit Fokus auf denkmalwerte Altstädte sowie neue
Planungsinstrumente wie Städtebauliche Verträge und Integrierte Stadtentwicklungskonzepte,
die wichtig für eine zügige und flexible Umsetzung waren und später auch im
Westen Deutschlands erfolgreich angewendet wurden. Diese regulatorischen
Rahmensetzungen und Förderprogramme (Städtebaurecht und Städtebauförderung)
wären jedoch ohne eine breite Akzeptanz und Unterstützung durch die
Bevölkerung, bürgerschaftliche Gruppen oder handelnde Akteure in den
städtischen Verwaltungen ins Leere gelaufen.
Daraus ergibt sich die These,
dass die erfolgreiche Stadterhaltungs- und Stadterneuerungspolitik als
deutsch-deutsches Gemeinschaftswerk ihre wesentliche Basis in den offenen oder
verdeckten Protestbewegungen sowie in der kritischen Fachwissenschaft gegen die
damalige Stadtzerstörungspolitik hatte.
Info
BMBF-Verbundprojekt
Auftraggeber: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Laufzeit: ab Januar 2019
Ansprechpartner: Dr.-Ing. Thomas Fischer
Verbundpartner
TU Kaiserslautern FG Stadtumbau und Ortserneuerung
TU Kaiserslautern Lehrstuhl Stadtplanung
Bauhaus Universität Weimar
Universität Kassel
Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung Erkner
Seit 2021 ist eine Wanderausstellung an verschiedenen Schauplätzen der Stadtwende zu sehen sein. Mehr Informationen: https://stadtwende.de/
Termine
Konferenz am 07./08.Oktober 2022